Rabies Babies by Gina Fischli – curation of solo show at DAS GERICHT

Rabies Babies by Gina Fischli – curation of solo show at DAS GERICHT

May 20 – June 24 2023, solo show Rabies Babies by Gina Fischli at DAS GERICHT, Frankfurt
Exhibition text by Olga Hohmann
Design by Paul Jürgens
Image 3,5-10,12: Tobias Still

→ Press
PASSE-AVANT, Dreaming of Heffalumps: Upholstered Anxieties by Miriam Wierzchoslawska
PROVENCE Magazin: 13.05.2023, Gina Fischli x PROVENCE Proust Questionnaire
Exhibition banner on gallerytalk.net
Contemporary Art Library

- DE -
See you later, alligator
Olga Hohmann

Der Ausdruck See you later, alligator entstand im frühen 20. Jahrhundert, als es in bourgeoisen Familien in Manhattan trendy war, seinen Kindern kleine Krokodile zu schenken, die dann an Leinen im Central Park spazieren geführt wurden, wie Hunde. Weil die Krokodile die Kinder aber regelmäßig bissen und die Eltern, bzw. die Nannies, müde wurden, die Bissverletzungen zu verarzten, spülten sie die kleinen Krokodile die Klos ihrer Upper East Side Apartments herunter. Die heruntergespülten Reptilien trafen sich in den Katakomben, verliebten- und vermehrten sich. Bis heute sollen in den New Yorker Abwasserkanälen Krokodile leben.
Diese Geschichte ist ganz offensichtlich ein Gerücht. Seit einem guten Jahrhundert kursiert es in- und um New York, niemand weiß, wie viel Wahrheitsgehalt in der Erzählung steckt. Ebenso wie die kleinen Krokodile in den Katakomben vervielfältigen sich diese Stadtmärchen, kreuzen sich mit anderen oral histories, setzen sich fort in andere Generationen und verwaschen ihre Bedeutung – jeder Mund, durch den sie gehen, jede individuelle Sprache gibt ihnen einen anderen Geschmack und eine andere Zuspitzung.
Dasselbe passiert mit Innenstädten, die immer und immer wieder auf Touristenfotos erscheinen – und sich dabei kaum merklich verändern. Ebenso wie wenn man täglich in den Spiegel schaut und deshalb die phänotypischen Veränderungen, die der eigene Körper durchschreitet, kaum wahrnimmt. Ebenso wie ein Körper tragen auch die Innenstädte von Großstädten immer mehrere Zeitebenen gleichzeitig in sich: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind, wie Walter Benjamin in seinem Passagenwerk beschreibt, immer gleichermaßen an- und abwesend.
Besonders stark zeigt sich diese Allgegenwart in den Schaufenstern – die ja eigentlich immer den neuesten Trends folgen- oder sie setzen sollten: Fast nie ist ein Schaufenster gänzlich »en vogue«, häufig spiegelt sich in dem leicht verzweifelten Versuch, die Gegenwart zu erfassen, auch ein Stück Geschichte wider: Eine Art unfallhaftes Mode-Diorama, ein Chronismus der Gegenwart. In dem Versuch der radikalen Zeitgenossenschaft ist man immer einen Moment zu spät dran.
In ihrer Ausstellung Rabies Babies für DAS GERICHT setzt sich Gina Fischli mit der halb-abgründigen, halb-sentimentalen Dimension der mehr oder weniger domestischen Tiere unseres Alltages auseinander und behandelt sie mit einer Art taxidermischen Sorgfalt. Katze und Maus, Möwe und Krähe werden zu mit Stoff überzogenen Skulpturen, im Gegensatz zur eher betulichen Anmutung der Arbeiten lässt der Titel sie in leicht bedrohlichem Licht erscheinen: Welche übertragbaren Krankheiten könnten die Tiere haben? Sind sie, trotz ihrer anmutigen oder niedlichen Erscheinung, vielleicht tollwütig?
Gina Fischlis Arbeiten sind eine Hommage an all die urbanen Stadtwilden, die wir, in ihrer Omnipräsenz, vergessen, die wir gar nicht mehr wahrnehmen, weil sie uns allzu vertraut sind. Frei nach Baudrillard sind diese, manchmal in Mimikry gehüllten, Skulpturen, ebenso wie Haustiere selbst, eine Mischung aus Objekt und Subjekt: Sie sind die König:innen, die auf königlichen Kissen thronen, die ihnen manchmal fast identisch sind, sie werden zu belebten Plüschtieren.
Die »Backdrops« sind urbane Landschaftsmalereien, die, in ihrer entschieden generischen Anmutung, aufzeigen, wie sehr die sogenannte »Landschaft« immer ein kulturelles Konstrukt ist: Anders als es die En Plain Air Malereien des 19. Jahrhunderts aussehen lassen, sind sie keine Abbilder der »wilden Natur«, sondern sind Landschaftsparks ihnen nachempfunden.
Das Generische, das ins Spezifische übergeht – und andersherum: 
In Rabies Babies werden diese Kategorien als Dichotomien obsolet, indem sie mehrfach ineinander verknüpft sind, es ist eine Hin und Zurück Bewegung, eine spielerische Unklarheit. Die Titel sind entweder biologische Gattungsbezeichnungen oder Eigennamen, die Katze »Gina« lässt auf ein Selbstportrait schließen, die Maus im blauen Mantel heißt »Monsieur«, was sich eher auf das Verhältnis zu Haustieren innerhalb bourgeoiser Familien bezieht. Die Malereien »NYC« und »FFM« beziehen sich, ebenso wie die Blickwinkel der Motive, auf einen touristischen Blick auf die Orte, die Abkürzungen kennen wir von Merchandise Artikeln. Im Schaufenster platziert bleibt für die Be- trachtenden unklar, ob wir die Arbeiten vielleicht, wie Stehgreif- Zeichnungen oder Karikaturen in der Fußgängerzone, im Vorbeigehen erwerben können.
Ich erinnere mich, wie ich mich, als Kind, einmal auf die Perserkatze einer Freundin setzte, weil ich sie für ein Kuscheltier hielt: Das (robuste) Tier erhob sich unter mir, miaute autoritär und fuhr seine Krallen aus – es war wilder und widerstandsfähiger als man es ihm zugetraut hätte. Die Bedürftigkeit der Haustiere – ganz offensichtlich nur ein Gerücht.
Letzte Woche hörte ich, beim Abendessen, ein weiteres Gerücht: Ein Mann wird von der tierlieben Richterin auf eineinhalb Jahre Haftstrafe (ohne Bewehrung) verklagt, weil er, im Streit, die Katze seiner Frau aus dem Fenster wirft. Mit ihrem spezifisch tierlieben Blick, formt die Richterin das scheinbar objektive Recht – es ist ebenso formbar wie das Gerücht, das sich durch die Stadt zieht, oral histories becoming realities.

For a while, crocodile

Gina Fischli (*1989) lebt und arbeitet in Zürich.
Sie hatte u.a Einzelausstellungen bei Karma International (2023); Swiss Institute, New York (2022); Neuer Essener Kunstverein,
Essen (2020); DELF, Wien (2017); Forde, Genf (2016), sowie bei Soft Opening, London; SANDY BROWN, Berlin und Chapter, New York.
Zu den jüngsten Gruppenausstellungen gehören die Miniatur Biennale Düsseldorf, Düsseldorf (2022); Nothing to Write Home About, Kim?, Contemporary Art Centre, Riga (2022); Winterfest, Aspen Art Museum, Aspen (2020); SculptureGarden Geneva Biennale, Genf (2020); A home is not a house, Fri Art, Fribourg (2020); The Garden, Royal Academy, London (2019); und SI ONSITE, Swiss Institute, New York (2019)

- EN -
See you later, alligator
Olga Hohmann

The expression See you later, alligator originated in the early 20th century, when it was trendy among bourgeois families in Manhattan to give their children small crocodiles, which were then taken for a walk on leashes in Central Park, like dogs. But because the crocodiles regularly bit the children and the parents, or nannies, grew tired of doctoring the bite wounds, they flushed the little crocodiles down the toilets of their Upper East Side apartments. The flushed reptiles met in the catacombs, fell in love – and reproduced. To this day, crocodiles are said to live in New York's sewers.
This story is quite obviously a rumor. For a good century it has been circulating in and around New York, no one knows how much truth there is in the tale. Just like the little crocodiles in the catacombs, these urban tales multiply, intersect with other oral histories, continue into other generations, and blur their meaning – each mouth they pass through, each individual language gives them a different flavor and aggravation.
The same thing happens with city centers, which appear over and over again in tourist photos – and hardly change noticeably. Just like when you look in the mirror every day and therefore barely notice the phenotypical changes that your own body goes through. Just like a body, the city centers of large cities always carry several temporal levels simultaneously: past, present and future are, as Walter Benjamin describes in his Passagenwerk, always present and absent in equal measure.
This omnipresence is particularly evident in the shop windows – which actually always follow the latest trends or are supposed to set them: Almost never is a shop window entirely "en vogue," often a piece of history is also reflected in the slightly desperate attempt to capture the present: a kind of accidental fashion diorama, a chronism of the present. In the attempt at radical contemporaneity, one is always a moment too late.
In her exhibition Rabies Babies for DAS GERICHT, Gina Fischli deals with the semi–abstract, semi–sentimental dimension of the more or less domesticated animals of our everyday life, treating them with a kind of taxidermic care. Cat and mouse, seagull and crow become sculptures covered in fabric; in contrast to the rather sedate appearance of the works, the title makes them appear in a slightly threatening light: What communicable diseases might the animals have? Are they, despite their graceful or cute appearance, perhaps rabid?
Gina Fischli's works are a tribute to all those urban savages that we, in their omnipresence, forget, that we no longer even notice because they are all too familiar to us. Loosely based on Baudrillard, these sculptures, sometimes wrapped in mimicry, are, like pets themselves, a mixture of object and subject: they are the kings and queens, perched on regal cushions that are sometimes almost identical to them, they become animated stuffed animals.
The „backdrops" are urban landscape paintings that, in their decidedly generic appearance, show how much the so–called "landscape" is always a cultural construct: contrary to what the En Plain Air paintings of the 19th century make it look like, they are not images of "wild nature" but are landscape parks modeled on them.
The generic merging into the specific – and vice versa: in Rabies Babies these categories as dichotomies become obsolete by being multiply linked into each other, it is a back and forth movement, a playful ambiguity. The titles are either biological generic names or proper nouns, the cat "Gina" suggests a self-portrait, the mouse in the blue coat is called "Monsieur," which refers more to the relationship to pets within bourgeois families. The paintings "NYC" and "FFM" refer, as do the angles of the motifs, to a tourist's view of the places, the abbreviations we know from merchandise. Placed in the shop window, it remains unclear to the viewer whether we can perhaps purchase the works in passing, like impromptu drawings or caricatures in the pedestrian zone.
I remember how, as a child, I once sat down on a friend's Persian cat because I thought it was a cuddly toy: The (sturdy) animal rose up from under me, meowed authoritatively, and extended its claws – it was fiercer and more resilient than one would have given it credit for. The neediness of pets – clearly just a rumor.
Last week, at dinner, I heard another rumor: a man is being sued by the animal-loving judge for a year and a half in jail (without evidence) because he, in a quarrel, throws his wife's cat out the window. With her specific animal–loving gaze, the judge shapes the seemingly objective law – it is as malleable as the rumor that runs through the city, oral histories becoming realities.

For a while, crocodile

Gina Fischli (*1989) lives and works in Zurich.
She has had solo exhibitions at Karma International (2023); Swiss Institute, New York (2022); Neuer Essener Kunstverein, Essen (2020); DELF, Vienna (2017); Forde, Geneva (2016), among others, as well as at Soft Opening, London; SANDY BROWN, Berlin and Chapter, New York.
Recent group exhibitions include Miniature Biennale Düsseldorf, Düsseldorf (2022); Nothing to Write Home About, Kim?, Contemporary Art Centre, Riga (2022); Winterfest, Aspen Art Museum, Aspen (2020); SculptureGarden Geneva Biennale, Geneva (2020); A home is not a house, Fri Art, Fribourg (2020); The Garden, Royal Academy, London (2019); and SI ONSITE, Swiss Institute, New York (2019)

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